Das schwarze Auge - 60. Runde der Kampagne: Greifenfurter Adel
Nach der Begegnung mit nunmehr dem dritten Geist eines Unelements beschlossen wir, dass es an der Zeit für ein Gespräch mit ihrer Spektabilität Ashtarra Okharim war. In der Drachenei fanden wir sie wie üblich in ihrem privaten Studierzimmer. Dort erfuhren wir, dass Boronep gut in Fasar angekommen sei und sich nun auf dem Weg durch das Gebirge des Raschtulswall befände. Auch unserem Anliegen, bezüglich der Unelemetare schenke sie gehör und empfahl, dass wir uns um diese Sache kümmern sollten. Immerhin was es uns gelungen, diese verderbten Elementare aufzuspüren. Sicherlich könnten wir auch weitere finden.
Unsere Gruppe zog sich in ein leerstehendes Studierzimmer zurück, damit wir ungestört waren und gebeugt über eine Karte der Stadt, überlegten wir gemeinsam, wie es weitergehen könnte. Wir hatten Elementare des Humus, des Erzes und des Wassers besiegt. Es verblieben also noch Feuer, Eis und Luft. Doch wo sollten wir diese finden? Luft und Wind könnten wir vielleicht an den Klippen des Meeres oder an einem Leuchtturm finden. Feuer war mit Sicherheit in den Krematorien der Stadt heimisch. Das Eis war ein Problem, selbst nach langem Überlegen fielen uns nur Eiskammeren als mögliche Lösung ein.
Um voranzukommen, wollten wir uns zuerst dem verdorbenen Feuer stellen. Wir studierten die Karte und fragten ein wenig herum. In der Tat gab es etwas außerhalb von Khunchom einen Friedhof, der hauptsächlich für zu Lebzeiten ansteckende Kranke verwendet wurde und daher auch Verbrennungskammern für die Verstorbenen hatte.
Das Tor zum Friedhof war verschlossen, doch Link bewältigte das einfache Schloss mit geübter Hand und verschaffte uns Zugang zum Gelände. Zwischen verwitterten Grabreihen und bröckelnden Mauern erhoben sich drei gedrungene Gebäude aus dunklem Stein. Aus zweien stieg rußiger Rauch in den abendlichen Himmel – ein sicheres Zeichen für jüngst entfachte Feuer. Das dritte Gebäude wirkte auf den ersten Blick verlassen, doch der Eindruck trog.
Kaum hatten wir das Innere betreten, kam es zur Manifestation eines Wesens, wie ich es in dieser Form noch nicht erlebt hatte. Die Erscheinung war von schrecklicher Intensität: eine von Flammen durchzuckte Kreatur, deren Körper aus brodelnder Glut und pechschwarzem Rauch bestand. Ihre Umrisse flackerten unstet, als vermöge sie keine feste Form zu halten. Aus einem klaffenden Rachen brach ein zischender Feuerschweif, der über den Boden fuhr und insektenhafte Gliedmaßen aus lodernder Asche umspielte. Die Hitze war drückend, doch ohne jede Wärme – ein Feuer, das nichts nährt, sondern nur verzehrt. Die Farben der Flammen wirkten unstet: neben dem gewohnten Rot sahen wir grünliches Glimmen, violettes Flackern, ja selbst bläuliche Glut, wie von einer unreinen Quelle gespeist.
Das Wesen griff ohne Vorwarnung an – ein Ausbruch reiner Raserei. Stordian wurde schwer verwundet, als ein peitschender Feuerstrahl ihn traf. Die Glut fraß sich durch die obere Kante seines Panzers, versengte das darunterliegende Gewebe. Nur durch entschlossenes und koordiniertes Handeln gelang es uns, das Wesen niederzuringen. Es zerfiel schließlich unter einem gellenden Aufschrei in stinkende Asche und beißenden Qualm, der sich wie eine schmutzige Schleierwolke im Raum legte.
Was genau wir bekämpften, bleibt unklar. Es wirkte wie ein Dschinn des Feuers, doch etwas an seinem Verhalten, seiner Erscheinung, seiner unnatürlichen Hitze – alles daran war… falsch. Verdorben. Ich werde die Akademie über diese Begegnung in Kenntnis setzen müssen.
Unter dem dritten Steingebäude führte eine schmale, rußgeschwärzte Treppe in die Tiefe. Der Geruch war beißend – eine Mischung aus kaltem Rauch, Verwesung und altem, nassem Stein. Gray und ich gingen voran, gefolgt von Link und Nga’Churr A’Sar. Stordian, durch die schwere Wunde vom Unelementar gezeichnet, ging als Letzer, um sich nicht weiter zu gefährden.
Kaum hatten wir die untere Schwelle erreicht, wurden wir von Bewegung im Dunkel der Vorhalle empfangen. Sechs Skelettkrieger erhoben sich wie auf stummen Befehl aus den Wandnischen. Ihre Rüstungen waren verrostet, doch ihre Bewegungen erstaunlich präzise. In den leeren Augenhöhlen glomm eine unstete Kraft – kein Leben, doch auch kein bloßer Automatismus. Sie griffen augenblicklich an.
Gray reagierte zuerst. Mit ruhiger Stimme und sicherer Geste beschwor er einen Strahl aus beißender Kälte, der sich mit sirrendem Zischen durch den Raum schnitt. Der vorderste Skelettkrieger wurde von der Energie erfasst, mit Raureif überzogen und in einem Splittern aus Frost und Knochen auseinandergerissen.
Ich wandte mich dem linken Flügel zu und sandte, geleitet von Madas Gabe, einen konzentrierten Feuerstrahl gegen einen der Angreifer. Die Flammen griffen nach den morschen Überresten wie nach trockenem Reisig. Innerhalb von Sekunden war der Untote in eine brennende Silhouette verwandelt, ehe er kollabierte und zu Asche zerfiel.
Link und Nga’Churr gingen mutig in den Nahkampf über, banden je zwei Gegner mit großem Geschick. In diesem Moment stieß auch Stordian zu uns – langsam, doch mit ungebrochenem Kampfeswillen. Trotz seiner Verletzung gelang es ihm, einen der verbliebenen Krieger mit einem gezielten Hieb niederzustrecken.
Nachdem der letzte Feind gefallen war und sich der Kampfeslärm gelegt hatte, durchquerten wir die Gruftanlage bis zur südlich gelegenen Hauptkammer. Dort – an einem kleinen Altar oder Schrein – stand eine einzelne Gestalt, eingefasst in ein fahles, grünlich pulsierendes Licht. Alt, dürr, die Haut leichenfahl, das Gesicht durchzogen von der Art Furchen, die kein Alter, sondern nur Macht hinterlässt. Und doch zweifelsfrei: Pentagor Dunkelstein.
Er sah uns an – nicht überrascht, nicht feindselig. Seine Stimme war ruhig, bedauernd, wie von jemandem, der eine Entscheidung längst akzeptiert hat: „Schade Gray, dass nicht du mein Geschenk angenommen hast.“
Ohne weiteren Laut löste sich seine Gestalt auf. Keine Flamme, kein Nebel, kein Geräusch. Nur das Zurückweichen einer Präsenz – als wäre sie nie da gewesen, und doch ein Teil des Raumes geblieben.
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass dies nur der Schatten eines größeren Plans war.